noch etwa 8 wochen bis zur geburt. und ich höre jetzt endgültig auf, schwangerschafts- und geburtsratgeber zu lesen. ich habe das alles satt, es kommt mir zu den ohren wieder raus. wie ich atmen soll, wie ich essen soll, wie ich denken und meditieren und fühlen soll. welche musik ich hören soll in welcher lautstärke. welche nahrungsergänzungsmittel, welche tees, welche aromaöle, welche yogaübungen, welche geburtsstellungen, welche windeln……ARGH!
es reicht.
ich stelle immer mehr fest, dass es mir eigentlich egal ist, welche windeln das kind tragen soll, oder ob keine. es ist mir – obwohl ich mich selbst vegan ernähre – nicht so wichtig, ob dieses kind tiere, zucker oder rohkost essen wird.
was ich diesem kind geben will, das bin ich, als person, mit allem drum und dran. mit meiner liebesfähigkeit und wärme, mit meinen zweifeln und meinem chaos und meiner kreativität und meiner wut. mit meiner geschichte und meinem weg damit.
unperfektion. das will ich diesem kleinen menschen mitgeben. liebe ohne immer alles richtig machen zu müssen. zu fehlern stehen und später drüber lachen. nicht immer alles so scheiße ernst nehmen. nicht die perfekte kindheit, sondern lebendigkeit. lust, sachen auszuprobieren, und vielleicht zu scheitern, und es nochmal anders zu versuchen.
es ist alles bereit. ich bin bereit.
dieser ganze geburtsvorbereitungskram – so nützlich er ja AUCH ist! – birgt die gefahr, aus der schwangerschaft und geburt eine leistungsshow zu machen. die perfekte schwangerschaft führt zum perfekten kind mit einer perfekten kindheit, die in ein perfektes leben mündet.
und falls nicht, ist auch schon klar, wer schuld ist: nämlich ich.
dieses kleine wesen kommt als kind weißer, gebildeter eltern, von denen alle einen uniabschluss haben, auf die welt. wir wohnen mitten in europa, sind krankenversichert und haben genug geld, uns gesund zu ernähren. und alle diese ratgeber richten sich auch genau an uns. (naja, fast: überall photos von weißen, glücklichen babies, meistens mit ihren mamas, und manchmal ist auch der papa mit dabei. andere bezugspersonen nicht.) ich lerne beim lesen, was ich schon jetzt dafür tun kann, dem kind diese privilegien auch zu erhalten. es gesünder, klüger, entwickelter als andere auf die welt kommen zu lassen.
klar, ich brauchte die literatur und habe sie in den ersten monaten auch verschlungen. denn obwohl schon einige meiner freund_innen eltern geworden sind, wusste ich vorher kaum etwas über schwangerschaft und geburt. ich brauchte informationen, um mich und meinen körper besser zu verstehen, um mir ängste zu nehmen und mich dazu zu befähigen, selbstbestimmte entscheidungen zu treffen. diese freiheit sollte allen schwangeren auf der welt zur verfügung stehen. jede_r sollte die möglichkeit haben, sich frei für eine bestimmte art zu gebären zu entscheiden. und jedes kind sollte gut ernährt, umsorgt und mit allen chancen auf bildung und entwicklung aufwachsen.
aber nach der ersten zeit des empowerment durch all das wissen merkte ich, wie ich zunehmend verunsicherter wurde. es gäbe ja so unendlich viel zu beachten und zu tun, beziehungsweise auf keinen fall zu tun. viele dieser ratgeber empfehlen nicht, sondern missionieren. und manche befehlen gar, wie dieses schöne beispiel aus einem HypnoBirthing®-manual:
„Gesunde Ernährung für glückliche und gesunde Babys
Gesunde, gut ernährte Mütter gebären gesunde Babys. Gesunde Babys sind stark und besser in der Lage, ihre Rolle bei einer einfacheren Geburt zu spielen. Der Körper ist während der Schwangerschaft wie ein wertvolles Instrument, das, um mit Leichtigkeit gut zu funktionieren, beste Pflege braucht. Dies sind nicht nur gut gemeinte Vorschläge, sondern ein absolutes MUSS.a) Beseitige ALLE unnötigen Fette, Schnellimbisse, Fastfood und frittierte Nahrung, vor allem Pommes frites.
(es folgen ein paar gängigere Ernährungstipps für schwangere)
….
f) Lasse alles „Weiße“ weg: raffinierten Zucker, weiße Mehlprodukte, weißen Reis, weiße Kartoffeln, weiße Backwaren.
….
l) Andere Flüssigkeiten außer Wasser: Frucht- und Gemüsesäfte sind gut, aber sie ersetzen Wasser nicht! Vermeide kohlensäurehaltige Getränke und trinke NIE Diätgetränke (light), Koffein und Alkohol.“
aber sei trotzdem immer schön entspannt und genieße dein leben. schlechte gefühle spürt das baby nämlich auch.
dem ganzen noch eins drauf setzen dann veröffentlichungen, in denen natürliche und sanfte geburten als DIE methode zur verbesserung der menschheit angepriesen werden, wie beispielsweise in diesem trailer zum film „birth as we know it“: wenn alle menschen auf sanfte natürliche weise geboren würden, gäbe es viel weniger gewalt in dieser welt. kinder, die auf natürliche, entspannte weise geboren werden, können in ihrem weiteren leben eigentlich nur noch zum weltfrieden beitragen.
ich bin also nicht nur verantwortlich für mein leben und das des kindes in mir, sondern auch noch für den frieden der kommenden generationen. angesichts dessen nicht auf pommes verzichten zu können, ist natürlich selfish, verstehe ich vollkommen.
und noch etwas transportieren solcherart ratgeber: ich muss nicht nur irgendwie – möglichst ohne körperliche/psychische schäden für mich und das baby – selbiges auf die welt bringen. nein, wenn ich dabei nicht entspannt bin, ängste habe, falsch atme, medikamente nehme oder gar einen kaiserschnitt benötige, oder, oder, oder, dann habe ich es FALSCH gemacht.
ok, sarkasmus aus: natürlich wünsche ich mir für das kind, mich und alle beteiligten eine sichere, behagliche, für uns alle stimmige geburtsatmosphäre. in unserem fall bedeutet das, eine hausgeburt zu planen – mit kerzen, musik, lieben und vertrauten menschen um uns herum. und es ist gut, dafür alles mögliche zu tun. und natürlich ist es dafür gut, wissen zu haben, und es ist auch gut, dass wir hier überhaupt alle diese möglichkeiten, selbstbestimmt zu gebären, haben.
und vor allem ist es gut, viel über die körperlichen vorgänge bei der geburt zu wissen – weil mir das hilft, mich selbstbestimmt zu fühlen. aber dann gibt es da einfach auch noch die komponente von unplanbarkeit und unkontrollierbarkeit, und wahrscheinlich wird die geburt trotz allem ein mega-abenteuer. es lebe die kunst der improvisation!
und ich glaube NICHT, dass es gut ist, meine ernährung so umzustellen, dass ich keinerlei pommes, zucker und cola mehr zu mir nehme, und keine nudeln. und nach der geburt dann natürlich auch nicht, wenn ich stille. und danach das alles nur noch heimlich zu essen, damit das kind damit nicht in berührung kommt.
ich glaube auch nicht, dass es gut ist, mich in ein tägliches yoga-workout zu pressen, wenn mich das stresst.
und ich glaube ganz sicher nicht, dass ein permanentes schlechtes gewissen, dieses und jenes nicht gemacht und zu mir genommen oder doch genossen zu haben, dem kind, mir und dem weltfrieden irgendwie dienlich ist.