Ich habe neulich mal ausführlich darüber geschrieben, wie gut ich mich mit unserer großen Tochter Kiko auf Augenhöhe verständigen kann (Kindernacht mit der großen Kiko). Jetzt war gestern wieder so eine Nacht, wir haben erst die Hühner der verreisten Nachbarn in ihrem Hühnerhaus eingeschlossen, dann was aus Emmas Atelier geholt, das Kiko zum Basteln braucht, dann unsere Katze (!) gesucht, die abends noch eine Gabe Antibiotikum gebraucht hat, weil sie von einem riesigen Kater gebissen wurde (zum Thema Katze ein andermal mehr), dann alte Wetten-Dass-Filmausschnitte auf YouTube geguckt (sehr interessantes Augenfutter). Dann aber sind wir, zum wiederholten Mal, auf ein Thema gestoßen, da könnten wir uns auch streiten – wenn ich nicht aufpasse. Es geht um Musik.
Kiko kennt Musik aus dem Radio oder von ihren Freundinnen. Ihr präferierter Radiosender ist einer dieser Popsender der ARD. So ähnlich wie das, was ich früher gern gehört habe (als Kind Bayern 3, später SWF 3), aber mit ungefähr der Hälfte der Musikauswahl, die dafür doppelt so oft gespielt wird und zur Hälfte aus Coverstücken von Lieder besteht, die ich von früher kenne. Nachrichten und kulturelle Beiträge sind auf ein paar Stichworte gekürzt, das Ganze wird dann noch mit Eigenwerbung, Jingles und Kurzschwärmereien vermeintlicher Hörer*innen aufgefüllt. Ich sag mal: Relativ leicht zugängliche Musik, die mir nicht gefällt. Völlig in Ordnung für einen Popsender also.
Zu mir kam Musik anders, als ich angefangen habe, mich damit zu beschäftigen. Es gab Platten und Kassetten – Alben – die ich mir anhörte und entscheiden musste, ob ich die mir überspielen lasse oder nicht. Oder später, ob ich die MP3 dieser Platte zu meiner Sammlung hinzufüge oder nicht.
Und das muss nicht besser sein, schon klar. Aber ich behaupte, und da liegt die Meinungsverschiedenheit mit Kiko: Es lohnt sich, Musik genau anzuhören – mehrmals – bevor man sich dafür oder dagegen entscheidet.
Und das sieht sie nicht ein. Sie weiß sofort, ob ihr ein Lied gefällt oder nicht. Sie kennt keine Alben. Sie kennt keine Musik, bei der sie erst nach dem fünften Mal anfängt zu ahnen, was da für Genie drinsteckt, und die sie dann ein Leben lang begleitet und immer wieder verzaubert.
Und das finde ich falsch, und da muss ich sehr aufpassen, dass ich nicht zum Rechthaber und Mansplainer werde. Weil ich natürlich Peter Gabriel und Pink Floyd und Tracy Chapman und Melissa Etheridge und so weiter schon 100 Mal gehört habe und beim ersten Mal nur mit der Schulter gezuckt hätte. Von den paar Hundert Liedern der genannten Künstler*innen würde ich wahrscheinlich nur „Another Brick in the Wall Part II“ kennen. Wie arm wäre das denn!
OK, da bin ich schon mehrmals gegen eine Wand gelaufen und Kiko hält mir vor, dass ich mich für ihre Musik auch nicht interessiere und dass ich beim Autofahren (bei Schulfahrten haben die Kinder scheinbar das Recht, ihren Lieblingsradiosender zu hören) schon so manches Mal über diesen oben beschriebenen Radiosender geschimpft habe („Musik für Dumme“ – hab ich das wirklich gesagt? War jetzt auch nicht gerade diplomatisch).
Gestern ist mir dann was richtig Schlaues eingefallen, har har: Ich hab vom letzten großen Geschenkefest noch ein Glas mit Gutscheinen von Kiko. Und neben 20 Mal „Kaffee kochen, wenn du mir zeigst, wie es geht“ und einigen „Mit mir was Schönes unternehmen“ und immerhin einem oder zwei „abspülen“ gab es da auch ein oder zwei Joker drin. Gutscheine für irgendwas, „aber nichts Fieses“. Na also: Hör dir mal in Ruhe eine gute Platte an.
Das ist mir eingefallen, als ich mir mal wieder was von Kate Bush angehört hatte, „The Hounds of Love“. Tolle Musik.
Ich hab ihr das dann stolz verkündet, und sie war nicht amused. Es ging hin und her bis zu dem Punkt, dass sie lieber draußen Laub zusammen harken würde. Da war ich dann genervt und bin erst nochmal die Katze suchen gegangen weil wir sie nämlich beim ersten Mal nicht gefunden hatten.
Später haben wir uns wieder vertragen, sie hat angeboten, dass ich mir ihre Musik anhöre und sie sich meine, ohne Gutschein. Das war gestern spät am Abend, nachdem ich die Katze gefunden und sie sich die Zähne geputzt hatte, und ich glaube, so sind wir verblieben. Ist ja auch eine großzügige Geste von ihr.
Jetzt habe ich allerdings das nächste Problem:
Mit welcher Musik demonstriere ich am Besten, dass es sich lohnt, ein bisschen in die Kunst zu investieren? Ist Kate Bush „Hounds of Love“ da wirklich das Beste? Und wird sie überhaupt so intensiv einsteigen? Wenn sie sich in einen Sessel setzen und mit Kopfhörern die Augen schließen würde, wäre dann nicht „Ys“ von Joanna Newsom noch besser geeiget, um ihr Musik jenseits von Radiopop zu erschließen? Und hab ich wirklich nur diesen einen Versuch?
Wahrscheinlich ist das viel zu anspruchsvoll, sie wird wahrscheinlich dabei was basteln, das sollte leichter zugänglich sein. Ich selbst habe mit Alphaville angefangen, auf deren erster Platte ist Big in Japan, Forever Young, und vielleicht sogar noch „Sounds like a Melody“ drauf. Dann hat sie zwar wieder Pop, nur älteren – bekommt aber eine Ahnung vom Konzept „Album“.
Da geht noch mehr: Mit R.E.M. „Automatic for the People“ kann ich doch eigentlich nichts falsch machen. Oder „The Joshua Tree“, irgendwer, der das nicht fantastisch findet? Midnight Oil (Umweltaktivisten!). Ellen, die ich sehr toll fand in meiner Schulzeit, mochte Marillion auch sehr gern (Misplaced Childhood) und meine erste richtige Freundin hat mir „Achtung Baby“ aufgenommen. Also finden Mädchen das ok und es könnte was für Kiko sein. Oder was deutsches, Grönemeyer „Sprünge“, Kinder an die Macht! Oder lieber Frauenstimmen, Yuriko hört ja auch fast nur Frauen: Tracy Champman, erste Platte, tolle Lieder, tolle Stimme. Melissa Etheridge – steht Kiko auf Rock? Ist auch alles ganz schön alt. Lieber The Notwist bzw. 13&God? Die Leute, die das gemacht haben, leben sogar noch.
Ich kenn auch neuere Sachen, aber die hab ich noch nicht 100 Mal gehört und kann deshalb nicht ganz sicher sein, ob sie wirklich was taugen.
Vielleicht lässt Kiko sich darauf ein, dass ich ihr zehn Alben zur Verfügung stelle und sie darf reinhören, so viel sie will, aber eins hört sie dann ganz an. Zweimal? Das würde sie wahrscheinlich schon als Zumutung empfinden. Aber sie durfte ja vorher wählen. Gute Idee?
Andersrum darf ich dann aber auch wählen. Allerdings haben die Interpreten ihrer Lieblingslieder vielleicht gar keine Alben, und wenn, dann kennt Kiko sie nicht. Mal sehen, ich sag Bescheid, wie es gelaufen ist (Anmerkungen und Vorschläge gern als Kommentar!!)
Lieber Heiko,
Wenn ich so von Kiko und Dir lese frage ich mich immer wieder ob ich die richtige Entscheidung getroffen habe, unsere Kinder nur zu zweit großzuziehen und eben oft doch beide zusammen in der Bettgehzeit zu begleiten. Viel Raum für philosophische Gespräche über Pop-Kultur gibt es bei uns deswegen eher nicht.
Ich finde die Frage nach den Alben der nervigen Radio-Lala spannend.
Such doch mal die Alben von den Hits Deiner Tochter raus. Überrasche sie mit einem zu Weihnachten und taucht zusammen so richtig ein in Konzept und Botschaft. Oder ein Interview mit den Künstler*innen. Sag dann gerne Bescheid wenn Du was brauchbares gefunden hast, das werde ich dann auch mit meinen Kids ansehen und hören.
Dann hab ich nochmal mehr profitiert von Dir und Eurer mutigen Entscheidung gemeinsam Elterschaft zu tragen 🙂
Verbundene Grüße
Victoria