Nach der ersten Nacht wieder allein, ich hab geschlafen wie ein Stein, habe ich Kiko gleich so ein bisschen vermisst und es hat sich auch ein wenig so angefühlt, als ob mir die Verantwortung fehlt, die ich die letzten acht Tage für sie zu tragen hatte. Wir haben viel erlebt – ich habe meiner Gemely in den wachen Nachtstunden immer haarklein per E-Mail erzählt, wann und wie die Kleine Pipi und Kacka gemacht hat (das geht nämlich jetzt mit Töpfchen und so; selbst im Zug sind wir immer aufs Klo gegangen und sie durfte dann den Knopf drücken zum Spülen; das Händewaschen danach war auch ein wichtiges Ritual), wie sie sich mit ihrem Babycousin und den anderen Kindern verstanden hat, die wir besucht haben (ganz gut, aber durchzogen von „meine meine!“-Anwandlungen) und was wir so erlebt haben (selber mit Schwimmflügeln im Schwimmbad im tiefen Wasser gestrampelt, Kühe gesehen, Pfützen zertrampelt, Zug gefahren (gestern 10 Stunden!), Opa getroffen, Boote gesehen, Ringereihe getanzt, geschaukelt und geturnt…). Ich habe also schon viel Bericht geschrieben und will jetzt lieber nochmal schauen, was das für mich bedeutet hat. Ich war ja Wochen vorher schon aufgeregt. Und gestern im Zug, als ich es sehr anstrengend fand (Kiko war eigentlich die ganze Zeit gut drauf, hat gefuttert, geturnt und gespielt), hab ich auch gedacht: „Warum tu ich mir den Wahnsinn an?“ Ich bin ja gar nicht dazu gekommen, was für mich zu tun, außer Krimi zu lesen, wenn Kiko tagsüber geschlafen hat (45min bis 2 ½ Stunden täglich) oder nachts ein bisschen zu schreiben oder mal zu duschen. Immer nur gucken: was braucht das Kind? Weil ich genau weiß, dass es mir auf jeden Fall schlechter geht, wenn sie unglücklich ist und ja niemand anderen hat als mich, um Trost zu suchen. Also will ich immer lieber eine zufriedene, ausgeschlafene Kiko als selber auf einen Berg zu steigen, wenn sie nicht mitwill.
Aber: Insgesamt war es auf jeden Fall eine sehr lohnende Bemühung. Es war schön mit ihr, ich habe die Zeit und eben auch die Orte und Leute, die wir besucht haben, sehr intensiv erlebt, und ich bin zufrieden mit mir. Ich bin wahrscheinlich der, der mich gerade am meisten dafür bewundert, dass ich das so gemeistert habe – aber das reicht ja auch. Ich habe mal mitbekommen, wie sich die Tage aus Kikos Sicht so anfühlen, was für eine Fülle von Eindrücken das sind, sie ihr begegnen, und wir hatten einfach einen schönen Kontakt, immer wieder – zwischen den langen Strecken, in denen Kiko ganz einfach ihr eigenes Ding gemacht und mich höchstens mal zwischendurch gebraucht hat, um eine störrische Decke auseinanderzufalten oder ihr aus einer Kiste wieder rauszuhelfen, in die sie sich hineingesteckt hatte.
Kiko hat auf der ganzen Reise übrigens gar nicht nach den anderen Eltern gefragt. Yurikos Namen habe ich nicht erwähnt und auch alle anderen Anwesenden gebeten, es nicht zu tun. Vielleicht war das eine unnötige Vorsichtsmaßnahme, aber ich hatte echt Sorge, dann nicht mehr zu genügen, wenn sie plötzlich die Biomutter vermisst. Gestern im Zug habe ich ihr dann erklärt, dass wir am Abend A-lex, Emma und Yuriko wiedersehen werden… Und auch, dass es bei Yuriko jetzt keine Milch mehr aus der Brust zu trinken gäbe (die sonst so wichtige „Mimi“). Das hat sie sehr entspannt zur Kenntnis genommen, und auch das Wiedersehen war entspannt. Sie hat sich gefreut, die anderen wiederzusehen, besonders Yuriko, aber sie ist auch nicht ausgeflippt. Sie war auch die ganze Woche voller Vertrauen, dass ihr weiterhin Gutes passiert und dass es überall, wohin sie geschleppt wird, was zu Entdecken gibt.
Den zweiten Teil meiner Reise habe ich bei einer Familie mit zwei Kindern verbracht, von denen eins so alt ist wie Kiko. Mit zwei Kindern und nur zwei Eltern ist das Leben natürlich anstrengender als bei uns und die Kinder bekommen nicht ganz so viel Aufmerksamkeit wie Kiko – und das ist ja für uns und unsere Beobachter_innen ja oft auch eine Frage, ob Kiko nicht zu viel Aufmerksamkeit bekommt – und auch mehr Regeln vorgesetzt. Das habe ich schon auch gemerkt, dass Kiko da ein ganz schöner Freigeist ist, die z.B. das Essen auch unterbrechen und später wiederkommen darf, während es für andere vorbei ist, sobald sie aufgestanden sind. Ich erlaube ihr auch, auf dem Hochstuhl herumzuturnen oder auf dem Sofa wild herumzuhüpfen, wenn sie nicht gerade müde und unkonzentriert ist. Ersteres, weil mir egal ist, wie lange das essen mit ihr dauert, wenn eh ich verantwortlich bin, zweiteres, weil ich durch die viele regelmäßige Zeit mit ihr sehr genau weiß, was sie kann.
Es gibt aber auch Sachen, da machen wir die Sache eventuell komplizierter als nötig, durch unsere Vierer-Entspanntheit, und zwar vor allem das Zu-Bett-bringen. Das dauert bei uns lange bis ewig, es passiert sehr spät (manchmal erst gegen 21:00 Uhr) und es ist einfach nicht damit getan, Kiko hinzulegen und dann wieder zu gehen. Joel hat schon öfters leise angemerkt, dass andere das effektiver hinkriegen, aber bisher scheinbar Hemmungen gehabt, uns konkret zu sagen, was sie anders machen würde: das frag ich sie demnächst mal.
Jedenfalls: Nach sieben Nächten hintereinander war das Insbettbringen das, was mich am meisten genervt hat. Dass aus dem herumturnenden Duracell-Häschen jemals ein leise schnaufendes Müderle wird, das scheint jeden Abend aufs Neue ungewiss, aber da ich zu Hause nur alle vier Nächte mit diesem Problem zu tun habe, ist es dort nicht so groß. Da könnten wir uns vielleicht darauf einigen, irgendwie… (bitte hier selbst Metapher suchen… im Sinne von „die Zügel anzuziehen“, aber gewaltfreier und konstruktiver).
Die letzte Nacht hat Yuriko mit Kiko gemacht und beide habe ich vorhin recht ausgeschlafen und zufrieden getroffen. Alles wieder beim Alten also. Wir sind wieder zu Hause, ich schreibe vormittags allein an meinem Computer, Kiko ist anderweitig versorgt. Und doch sehe ich der wartenden Schreibtischarbeit etwas gleichgültiger entgegen als noch vor einer Woche…