Every Breaking Wave

Vier Elternteile bedeutet auch vier verschiedene Musikgeschmäcker. Und seit Weihnachten spielt Musik eine große Rolle bei uns. Irgendwie sind mehrere Kinderlieder-CDs aufgetaucht: „Bam Bam Band“ und „Kleine Hexe Luzi Lindwurm“ zum Beispiel. Beides läuft bei uns permanent rauf und runter („kommt der Oberfördster Hamann – macht Radau am Gartentor – zaubert sie ihm itzi bitzi- eine kleine Frau ins Ohr“), und manchmal hören wir auch „Erwachsenenmusik“ – ein Wort, dass Kiko sofort ihrem Wortschatz hinzugefügt hat. Da gibt es das Radio, in unserem Fall meist „Radio Sputnik“, das auf mich wirkt wie ein stark verdünnter Abklatsch der Radiosender, denen ich als Jugendlicher gelauscht habe (SWF 3 zum Beispiel), und wo original die ganze Zeit dasselbe kommt. Schalte ich nach drei Wochen mal wieder ein, wirkt die Playlist fast identisch. Kiko findet es trotzdem nett. Aber nicht so nett wie die Musik, die ich ihr, ebenfalls seit Weihnachten, mit einigem Erfolg und einigem Haareraufen seitens der anderen Eltern nahebringe: U2, „Songs of Innocence“, genau, die Platte, mit der es sich U2 bei fast allen verdorben hat, weil sie spamgleich an 500 Millionen i-Tunes User verteilt wurde, kostenlos, ob sie wollten oder nicht. Ich bin kein i-Tunes-Abonnent und habe sie mir tatsächlich vom Christkind kaufen lassen, und ich finde die Platte total geil. Und Kiko jetzt auch. „Every Breaking Wave“ ist ein tolles Lied und auf der CD als Original- und als Akustikversion drauf; zu beidem können Kiko und ich schön zusammen tanzen. Seit zwei Wochen sagt sie von sich aus den Titel, hört sich so an wie „äwi beki wäf“.

Gestern Abend in meiner gemütlichen 16:30-Uhr-Schicht mit ihr saßen wir auf dem Sofa und haben mal wieder U2 gehört und uns zusammen das Cover angeschaut. Sie hat mich immer wieder gefragt, wie die vier Leute da heißen, und dann habe ich erklärt, dass sie zusammen U2 heißen (kann sie auch schon sagen) und dass der eine Bono und der andere Edge heißt. Bei den anderen musste ich im Booklet nachschlagen. Sie heißen Adam und Larry; ich weiß aber nicht, wer von den beiden wer ist, das habe ich ihr auch gesagt. Das Booklet fand Kiko aber auch toll, weil es nämlich zwei sind (eins für sie und eins für mich), die sich ewig lang ausklappen. Mit Kind sind einfach Sachen toll, die einem vorher gar nicht auffallen. Wie genau wir uns das U2-Gruppenbild angeschaut haben (siehe hier das Innencoverbild): Dass Bono eine Brille hat und zwei (nicht nur eine) Ketten um den Hals. Dass alle schwarze Jacken haben. Dass Bono einen Ohrring hat und der linke Typ auch. Dass die Jacken Reißverschlüsse haben, die das Licht reflektieren, sowie ein paar Knöpfe. Dass Bono schon alt ist und einen Bart hat, Edge auch, wie A-lex und ich, die wir deshalb manchmal pieksig sind beim Gute-Nacht-Kuss. Das haben wir alles enteckt, und dann kam ein Lied, da hat Kiko erklärt „Das mag ich nicht!“ und dann hat sie die „weiter“-Taste am Ghettoblaster gedrückt (sie kann schon lange ein- und ausschalten).

Dann ist Kiko noch eine Weile von der Sofalehne gesprungen und dann sind wir zu ihrer Oma gegangen, um der ein Abendbrot zuzubereiten.

Wenn Kiko selbst singt, kommt übrigens oft „im Frühtau zu Berge wir ziehn Fallera“ raus…

Blöde Trennerei.

Im Dezember habe ich mehr als einmal gedacht: ‚Wie würden wir das machen, wenn wir NICHT zu viert wären?’ Da ist Yuriko eine ganze Weile ausgefallen, war für uns alle gar nicht lustig. Aber Kiko hat so wenig darunter gelitten wie nur möglich. Erst konnte Yuriko ein paar Tage lang keine Kiko-Schichten und –Nächte machen, dann musste sie in eine Klinik. Zu dritt ist es nicht viel mehr Kinderbetreuungsarbeit als zu viert; jeden dritten Tag kommt eine Schicht dazu und ich bin ein bisschen früher wieder mit der Nacht dran. Wunder der Mathematik, ein Drittel ist kaum mehr als ein Viertel; ich glaube, mein Staunen darüber habe ich bereits ein andermal zum Ausdruck gebracht. Wir haben inzwischen auch etwa drei potenzielle Babysitter*innen am Start, mit denen Kiko gern zusammen ist bzw. von denen sie hellauf begeistert ist – das ist dann auch cool an unserem Gemeinschaftsdorf hier, dass das leicht zu organisieren ist.
Was an der Gemely-Konstruktion doof ist, ist die ständige Trennerei vom Kind. Mich lässt Kiko nicht so gerne gehen. Wenn ich ihr erkläre, was ich gleich ohne sie machen werde, sagt sie gerne „ich komm mit“. Manchmal geht das (Gang in die Speisekammer oder aufs Klo, oder meiner kranken Mutter Essen machen), manchmal nicht (arbeiten, mal eben ganz fix mit dem Rad losfahren und ein Brot aus dem Brotlagerschrank holen). Glücklicherweise findet sie meinen Mittagschlaf meistens nicht so spannend und lässt mich ohne Widerworte ziehen. Einmal habe ich sie auch dazu mitgenommen, da lag sie dann 15 Sekunden ruhig neben mir, bis sie sich aufgesetzt hat und anfing, mir Schlaflieder vorzusingen – und schließlich meinen Kopf hochdrückte, damit ich wieder aufstehe.
Jedenfalls ist es total blöd, wegzugehen, wenn Kiko das nicht will und weint. A-lex sagt ganz richtig, dass sie damit gleich wieder aufhört, sobald ich weg bin. Das glaube ich auch. Manchmal sehe ich Kiko mit ihm oder Emma aus der Ferne und sie ist zufrieden und entspannt. Aber für mich ist das doof, die Trennerei. Ich fühl mich blöd damit. Deshalb lasse ich sie auch ganz gern nochmal mitkommen, wenn ich zum Beispiel kurz irgendwo hinmuss und sie mitwill, auch wenn es gar nicht mehr in „meiner“ Kinderzeit liegt. Natürlich mache ich das nicht, wenn A-lex, Emma oder Yuriko gerade mit ihr beschäftigt sind. Aber abends zwischen halb sieben und acht ist ja zum Beispiel sowas wie Kinderbetreuungs-Niemandsland. Da nehme ich sie dann vielleicht mal mit, um meinen Bauwagen anzuheizen, obwohl zum Beispiel Emma die Nacht macht und ich ihrem Gesicht anzusehen glaube, dass sie findet, dass das jetzt doch gar nicht nötig wäre, so sehr auf das Kind einzugehen – Kiko könnte ja auch mal lernen, dass es ganz normal ist, dass Erwachsene rausgehen und ein paar Minuten später wiederkommen. Aber mir setzt es halt zu, mich von der Kleinen zu trennen, wenn sie das lieber nicht will.
Vor allem sind natürlich die Situationen schwierig, in der meine Schicht zu Ende geht und eine andere anfängt. Da gilt es, der nachfolgenden Person eine Möglichkeit zu geben, gleich mit Kiko einzusteigen, damit ich dann gut gehen kann, ohne Tränen. Da Yuriko nach wie vor Kikos Obermami ist, ist es mit ihr am wenigsten ein Thema. Mein Impuls wäre eigentlich, einfach wegzugehen, sobald Kiko anderweitig beschäftigt ist – davonschleichen. Ich hab mich aber von den anderen überzeugen lassen, dass es besser ist, Kiko klipp und klar zu sagen, dass ich jetzt gehe. Auch wenn sie das manchmal meisterhaft ignoriert und mich keines Blickes würdigt, wenn ich da stehe und verkünde, dass ich jetzt gehe. Yuriko verabschiedet sich immer sehr gründlich von Kiko, setzt sich hin und erklärt es ihr… Dabei habe ich auch ein komisches Gefühl. Dadurch muss sie sich das ja richtig reinziehen, das was Doofes passiert (=dass Yuriko geht). Aber keine*r von uns weiß letztenendes, wie es Kiko womit wie gut geht.
Oft klappt es reibungslos, dass Kiko nach dem Aufwachen mit mir sich zum Beispiel neben Emma auf die Küchenarbeitsplatte setzen lässt und mit ihr den Morgensmoothie zubereitet, Pülverchen hiervon, Löffelchen davon. Und ich dann Tschüss sage und in mein Büro gehe.
Oder dass sie nachmittags schon angefangen hat, mit A-lex Bauklotz-Türme zu bauen, während ich mir noch einen Kaffee gekocht habe. Und dann kaum reagiert, wenn ich gehe. Das sind jedenfalls die guten Abschiedsmomente. Ich überlege schon, wie ich doofe Momente vermeiden kann. Nicht nur wegen Kiko, wie gesagt. Sondern wegen mir. Doofe Trennerei.