Na so was, jetzt schreiben sie auf einmal alle wieder. Und es ist so schön, von den anderen zu lesen. Da bekomme ich Lust, auch ein paar Zeilen beizutragen. Ich bin gerade sehr verliebt in unser Kind, und obwohl ich ihm überhaupt gar nicht jeden Wunsch erfülle, niemals, ist das ein Thema für mich: Wohin mit der Liebe. Ist es überhaupt Liebe? Es ist so eine komische Sehnsucht, eine Sehnsucht danach, dass Kiko nicht verletzt wird. Ich weiß gar nicht, woher das kommt. Schau ich mir zu viele krasse Serienfolgen oder Filme an (Tatort „Familiensache“ vorgestern, meine Güte!) oder wie komme ich überhaupt darauf, Angst um Kiko zu haben? Manchmal stelle ich mir vor, dass ihr irgendwer weh tun könnte, im Krieg oder so, das ist schrecklich. Und ein bisschen ist das immer dabei. Heute bin ich mit ihr ins nächste Dorf gefahren (Auto), was sie prima fand, hat die ganze Zeit gesungen und erzählt und hat die Tüte von der Apotheke getragen und auf dem Bordstein balanciert. Und ich war die ganze Zeit ein bisschen angespannt – es könnte ja irgendwas passieren, sie könnte auf die Straße laufen oder so… Da habe ich darüber nachgedacht, dass ich wohl auch zu Hause stets ein bisschen angespannt mit ihr bin. Ich kann nicht einfach Heiko sein und faul herumliegen – ich muss verantwortliche Bezugsperson sein. Ich glaube nicht, dass alle Eltern immer dieses Gefühl haben.
Gleichzeitig ist unser Kontakt ausgezeichnet, wir verstehen uns richtig gut, da wird erklärt und gelacht und selbst Anziehen oder Zähneputzen sind gerade überhaupt nicht schwierig. Und ich finde selbst grässlich, dass meine Mutter, die auch hier im Dorf lebt, sich ständig Sorgen um Kiko macht: Weil ich nicht zulasse, dass sie im Schreibwarenladen Schokolade und in der Sparkasse jedes Mal ein neues Stofftier geschenkt bekommt (ich hab den Fehler gemacht, das meiner Mutter zu erzählen), weil ich sie auf dem Stuhl herumklettern lasse, weil das Kind ihrer verqueren Meinung nach nicht warm genug angezogen ist usw. usf.
Lustigerweise hat Kiko seit letzter Woche eine neue Gelegenheitskinderbetreuerin bekommen, eine 16-jährige, die ziemlich zufällig auf Kiko gestoßen ist, die Kiko aber sehr mag und von Kiko auch ganz gefunden wird. Und die – nennen wir sie mal Jasemin – ist anscheinend total locker und souverän mit unserem Kind. Ich hab ein voll gutes Gefühl, wenn die beiden zusammen sind. Und das finde ich irre: Diese junge Frau kriegt das scheinbar leichter hin als ich. Dabei hab ich schon ganz ansehnliche Projekte gestemmt. Vater sein ist nach wie vor ein großes und auch schwieriges Ding für mich.
Als ich mitbekommen habe, dass Jasemin morgen Zeit habe, habe ich ihr meinen ganzen Kiko-Vormittag übergeben. Hab ich mich jetzt gedrückt? Oder ist das erlaubt? Ich hab viel zu tun und die Vorstellung, den Vormittag über zu arbeiten, ist viel entspannter für mich als den Vormittag über das Kind zu betreuen. Irgendwie krass.
Aber dann, auch wieder so ein Gedanke: Wenn ich jetzt nicht in so einem Umfeld leben würde, wo völlig selbstverständlich ist, dass wir uns reproduktive Arbeiten wie Kinderbetreuung teilen; wenn ich ein „normaler“ voll berufstätiger Vater und z.B. Yuriko eine Hausfrau-Mutter wäre, dann wäre es wiederum total normal und sogar perfekt, wenn ich mit Arbeiten-gehen zufrieden wäre (vorausgesetzt, meine Frau wäre gern beim Kind zu Hause). Und jetzt finde ich es „irgendwie krass“.
Neulich (das jetzt der letzte Gedanke für heute) hab ich mich gefragt, ob Kiko gerade in einem Alter ist, das mich besonders herausfordert. Weil sie schon selbständig ist, die Bezugsperson aber noch sehr stark braucht und fordert. Ob es für mich wieder leichter wird, wenn ich in der Zeit mit ihr Lego baue und dabei Geschichtenschallplatten höre, wenn ich wieder etwas lockerer werden kann und nicht mehr so viel Verantwortung trage, weil sie sich dann selbst besser beschäftigen kann und ich nicht versuchen muss, jederzeit für sie nachvollziehbar zu handeln.
Und dann denke ich auch wieder, dass genau die Herausforderungen und die Zweifel, die bei mir immer dabei sind, meine größte Entwicklungschance sind.